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Wenn Trainer zu Therapeuten werden

Wenn Trainer zu Therapeuten werden

Die Schnittstelle zwischen Training und Therapie ist groß. Doch als Trainer therapeutisch zu arbeiten, ist in erster Linie nicht unsere Aufgabe. Wann die Felder verschmelzen und wann ein Trainer therapeutisch handeln kann, zeigt Florian Münch, Inhaber der Sportlerei Akademie, München.

Wenn ich in meinem Trainerumfeld aktive Trainerinnen und Trainer beobachte, fällt mir auf, dass viele seit der Trendzündung zum funktionellen Training ihre Art der Betreuung stark „therapeutisch“ verändert haben. Es wird gerollt, released, getriggert, elektrisch stimuliert und teilweise „Hand angelegt“ und manuell therapiert. An sich sind das alles rechtmäßige Anwendungen, die alle regelmäßig und zielführend in das Training eingebaut werden sollten – das sollte jedoch nur nach Bedarf, Konzept, Spezialisierung und vor allem nur nach entsprechender Ausbildung gemacht werden.

Ein Kunde kann nur schwer zwischen Training und Therapie unterscheiden, da er viele Inhalte diesbezüglich nicht differenzieren kann. Dennoch hat er teilweise genaue Vorstellungen, wie ein Training sein sollte und sich anfühlen muss: nämlich schweißtreibend und anstrengend, am Ende aber immer befriedigend und nach Möglichkeit mit einem hohen Spaßfaktor. Das erwartet der Kunde von einem Training und dem sollte man aus Motivationsgründen auch nachkommen, denn als Trainer haben wir immer noch die Aufgabe, Menschen zum Sport und zur Bewegung mitzureißen und langfristig zu motivieren – und nicht zu therapieren, wie Therapeuten es tun.

Dennoch benötigt fast jeder Kunde und Sportler auch therapeutische Inhalte, die das Training und die Leistungsverbesserung unterstützen und für Verletzungs- und Schadensprävention sorgen. Das Hauptaugenmerk liegt beim Kunden aber primär zumeist immer im Rahmen der zu verbessernden Körperoptik und sekundär in der Verbesserung der Gesundheit und Leistungsfähigkeit. Nur wenn das Schmerzniveau und die Einschränkungen sehr groß sind, werden auch seitens der Kunden therapeutische Maßnahmen bewusst gesucht und akzeptiert. Hierbei gilt: Je höher das Schmerzlevel und die Alltagseinschränkungen sind, umso mehr muss zunächst mit therapeutischen Maßnahmen ergänzt werden.

 

Training vs. Therapie

Bei einem Fitnesstraining will der Trainierende

Bei einem Fitnesstraining will der Trainierende
ins Schwitzen kommen und Spaß haben

Mit Therapie bezeichnet man Maßnahmen zum Behandeln von Behinderungen, Krankheiten und Verletzungen aufgrund einer zuvor erlangten Diagnose. Ziel des Therapeuten ist die Beschleunigung einer Heilung, die Beseitigung oder Linderung der Symptome und die Wiederherstellung der körperlichen oder psychischen Funktion. Der Therapeut hilft bei der Heilung gewisser Symptome.

Sportliches Training wiederum ist das systematische und planmäßige sowie zielorientierte Durchführen von körperlichen Übungen zur Verbesserung der Gesundheit, Funktionsfähigkeit, Leitungsfähigkeit – und des Aussehens. Der Begriff Training steht allgemein für alle Prozesse, die eine langfristig verändernde Entwicklung hervorrufen. Systematisches Training zielt darauf ab, möglichst langfristig stabile Anpassungserscheinungen (Trainingseffekte) zu erzielen. Eine Periodisierung des sportlichen Trainings sorgt dafür, dass Training über einen längeren Zeitraum so organisiert ist, dass es leistungsprogressiv ist, aber im Sinne der Superkompensation Über- und Unterbelastungen vermieden werden.

 

Die Verschmelzung im funktionellen Training

Im funktionellen Training muss stark differenziert werden. Ziel des funktionellen Trainings ist es, die Funktionsfähigkeit des Bewegungsapparates zu erlangen. Das heißt: Bewegungen im Alltag, im Beruf und im Sport sollen schmerzfrei, kontrolliert und sicher ausgeführt werden können. Primär geht es jedoch immer um die Alltagstauglichkeit – jene Schmerzfreiheit, die ein aktives Leben ohne Schmerzen und Einschränkungen erlaubt. Im funktionellen Training liegt genau hier die Schnittstelle zwischen Therapie und Training. Denn auch in der Therapie ist das erste Ziel, im Alltag schmerzfrei zu sein.

Der Unterschied: Ein Training kann zwar gesundheitsorientiert sein, ist aber gleichzeitig durch die Optimierung der Körperfunktionen und durch Kraftzuwächse hauptsächlich leistungsverbessernd.
Ist der Kunde durch das funktionelle Training dann völlig schmerzfrei und im Leistungstraining angelangt, kann ein Athletiktraining anschließen, das zur maximalen körperlichen und sportartspezifischen Entwicklung führt.

Streng genommen: Berücksichtigt man den ganzheitlichen Aspekt der Trainingslehre, benötigt jeder Trainierende seine individuell gewichteten Trainingsinhalte, die körperlich leistungsverbessernd, therapeutisch rehabilitativ oder ergänzend hilfreich und spaßfördernd sein können. Die Vielfalt ist im untenstehenden Kasten zu sehen.


Das sollte unterschieden werden

Das sollte unterschieden werden


 

Beispiel: Max Mustermann, 43 Jahre alt

Max Mustermann ist 43 Jahre alt, arbeitet als Vertriebsmitarbeiter im Innendienst und hat 15 Jahre keinen Sport gemacht. Was machen wir mit ihm? Folgendes wissen wir:

  1. Anamnese: er hat u.a. einen permanenten Überlastungsschmerz muskulär im LWS-Bereich, Überlastungssymptomatik im linken Knie, Schulterschmerz (Elevation & Außenrotation) rechts („Impingement-Syndrom“)
  2. Diagnostik: per Functional Movement Screen (FMS) und diverse Muskelfunktionstests sowie ein Stufentest submaximaler Ausdauer
  3. Trainingsinhalte: wir empfehlen ihm vorbereitende dynamische Flexibilitätsübungen, die die Beweglichkeit und die aktive Stabilität verbessern (Movement Preps), funktionelles Stabilitäts- und Mobilitätstraining, Kraftzuwachs- und Muskelaufbautraining, sowie myofasziale Dehnungen und Power-Stretches
  4. Therapie: alle zwei Wochen bekommt er 60 Min. Rolfing (insgesamt 10 Termine); Ziel: manuelle Lösung von Verklebungen im Bereich der hüftumschließenden Muskulatur, des Steißbeins und ISG; lokal rehabilitatives Training der rechten Schulter
  5. Ergänzende Maßnahmen: tägliches myofasziales Release (Behandlung des Fasziensystems) und Mobilisieren der Hauptverklebungen, einmal wöchentlich Yoga, fortlaufende Ernährungsoptimierung.

In diesem Beispiel ist die „Therapie“ an externe Experten abgegeben worden, was die Effizienz und die Bedeutung dieser Inhalte für den Kunden steigert. Der Trainer wiederum kann sich dann auf das gesundheits- und leistungsfördernde Training konzentrieren. Myofasziales Release gilt nicht als Therapie, sondern ist ein ergänzender Inhalt zum funktionellen Training zur Erlangung der vollständigen Mobilität, sodass der Kunde schmerzfrei wird.

Funktionelles Training und funktionelle Therapie verfolgen im ersten Schritt ein Ziel: Schmerzfreiheit im Alltag.

Funktionelles Training und funktionelle Therapie verfolgen im ersten Schritt ein Ziel: Schmerzfreiheit im Alltag.
Foto: Andrew Bassett/shutterstock.com

 

Eigene Kompetenzen (er)kennen

Der eigene berufliche Werdegang, ob Trainer oder Therapeut, sollte wohlüberlegt sein. Innerhalb dieses Findungsprozesses ist die Erarbeitung von Kernkompetenzen eine der wichtigsten Aufgaben für den zukünftigen Berufserfolg. Sie ist wie eine Stärken-Schwächen-Analyse, bei der  die eigenen Stärken, Schwächen und Vorlieben festgestellt werden. Folgende Fragen können hierbei hilfreich sein:

1. Was möchte ich nicht – egal, ob ich es kann oder nicht?
2. Was kann ich, möchte es aber nicht?
3. Was will ich und kann es nicht?
4. Was will ich und kann ich?

Bei Frage 3 und 4 erfolgt die grundlegende Auswahl der Kernkompetenzen. Weitere Methoden wie eine Erlebniswertanalyse, Aufwands- und Ertragsanalyse sowie Spezia-
lisierungsanalyse und eine Spezialisierungsplanung ergeben dann das persönliche Kompetenzprofil.

Bei der Berufswahl im Sinne einer Spezialisierung sollte sich jeder Trainer die Kernfrage stellen, ob man Trainer oder Therapeut sein möchte. Liegen die eigenen Vorlieben und Kernkompetenzen im Trainingsbereich, also eher leistungsorientiert, oder im Therapiebereich, also eher rehabilitativ? Diese Entscheidung ist wegweisend und auch eine Frage des Talents, der Leidenschaft und der persönlichen Entwicklung und Erfahrung.

 

Auf die richtige Ausbildung kommt es an

Für ein professionelles Training und eine fundierte Therapie gilt gleichermaßen, dass sich Fachkräfte in ihren Kernkompetenzen ausbilden lassen – hierzu gehört neben wichtigen Praxiserfahrungen eine mehrmonatige oder mehrjährige Ausbildung oder ein Studium. Es sollte mindestens eine Lizenzausbildung, eine staatlich anerkannte Schulausbildung oder sogar ein Studium absolviert werden bevor man wirklich mit Kunden arbeitet. Ergänzende Inhalte und weitere Spezialisierungen können dann innerhalb von Lehrgängen oder Workshops vermittelt und über selbst angeeignetes Wissen vervollständigt werden.

Am wichtigsten ist jedoch sowohl für den Kunden als auch für den Trainer, dass der Spaß nicht zu kurz kommt und das Verhältnis sowie die Kommunikation stimmt. Sympathie ist das A und O. Diese Faktoren sind für den Trainingserfolg unabdingbar. Professionelle Trainerinnen und Trainer sollten nicht vergessen, dass hauptsächlich das bewegende/mobilisierende sowie kraftgebende Training forciert werden sollte. Denn zu viel Therapie im eigentlichen Training kann den Spaß an der Bewegung nehmen und der Kunde hat weniger Lust zu trainieren. Im Training sollten überschwellige Adaptionsreize gefördert werden und der Kunde ins Schwitzen kommen.

Entscheidend ist also immer der bestmögliche individuelle Mix aus Training und Therapie (sofern man die passende Ausbildung absolviert hat!), welcher zur Verbesserung der Gesundheit, der Funktionsfähigkeit, der Körperoptik und der individuellen Leistungsfähigkeit führt, gleichzeitig aber immer ein Training mit viel Spaß und auch Schweiß darstellt. In diesem Sinne: Viel Spaß bei Training und bei Therapie!

Der vollständige Artikel „Training vs. Therapie“ aus dem Trainer-Magazin1/16 ist geschrieben von
Florian Münch | Gründer der Sportlerei Akademie, Personal Trainer und Autor. Er trainiert seit 17 Jahren seine Kunden und Sportler für mehr Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Spaß am Sport. Seine Erfahrungen gibt er als Inhaber der Sportlerei Akademie zusammen mit seinen Dozenten und Dozentinnen in staatlich zugelassenen Ausbildungen an angehende Personal Trainer weiter.  www.sportlerei-akademie.de

 

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