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Die Schiffchenstellung – Effektiver an Reck und Ringen trainieren

Die Schiffchenstellung –  Effektiver an Reck und Ringen trainieren

Die „Schiffchenstellung“, bei der die gesamte Rumpfmuskulatur angespannt und die Wirbelsäule leicht gewölbt wird, wird im Turnen genutzt, um Übungen korrekt und effektiv auszuführen. Auch im funktionellen Training kann sie zum Einsatz kommen. Dr. Daniel Gärtner zeigt, wie deine Kunden davon profitieren.

Das Training im Gym erfährt seit einigen Jahren eine Renaissance alter Trainingsmethoden: funktionelles Training. Weg von isolierten Übungen, hin zu
komplexen Bewegungsmustern. In den 1970er und 1980er Jahren gewannen isolierte Übungen an Popularität. Hier gibt es nun – der Effektivität der Übungen sei Dank – eine Entwicklung: zurück zu komplexen Übungen, die den gesamten Körper fordern und fördern. Die traditionelle Sportart „Turnen“ bildet hier eigentlich den Grundstein des funktionellen Trainings – nicht zuletzt erkennbar am Einsatz von traditionellem Turnequipment wie Ringen.

Viele turnerische Kraftübungen finden sich im heutigen Fitnesstraining wieder. Dabei werden die ursprünglichen Übungen meist signifikant verändert. Im Grunde ist das in Ordnung, sofern eine Übung dem individuellen Leistungslevel angepasst wird. Die Praxis sieht aber häufig anders aus: Hochkomplexe Übungen werden durchgeführt, ohne eine adäquate Basis entwickelt zu haben. Bestes Beispiel ist der Durchzug (Muscle-up) am Reck oder an den Ringen. Mit unkontrolliertem Schwung, durch Reißen und Stemmen wird gemogelt, was das Zeug hält, um gerade noch so in den Stütz zu kommen. Auch scheinbar einfache Übungen wie das gestreckte Beinheben (Straight Leg Raise) werden von Anfängern und auch Fortgeschrittenen immer wieder ohne jegliche Basis durchgeführt. Teilweise ist das berechtigt – man denke beispielsweise an die Schwungklimmzüge im CrossFit. Diese Entwicklung ist nicht per se zu kritisieren, denn wenn jemand über eine entsprechende muskuläre Grundlage verfügt, dann ist das im Grunde auch kein Problem. Aber jeder Turner würde beim Anblick solch unsauberer Techniken, die mit gebeugten Beinen, angewinkelten Fußspitzen und krummem Rücken geturnt werden, den Kopf schütteln.

Der Weg ist das Ziel

Klassisch turnerisch betrachtet, geht es beim Durchführen der Übungen nicht ausschließlich um das Ziel selbst – also die Füße beim Straight Leg Raise beispielsweise an die Stange zu bringen oder beim Muscle-up an den Ringen hoch in den Stütz zu kommen. Vielmehr geht es um die Entwicklung eines korrekten und sauberen Bewegungsmusters und um das Schaffen einer stabilen Grundlage. Erst dadurch können Kraft und Beweglichkeit richtig geschult und mit der Entwicklung eines komplexen Körpergefühls vereint werden. So ist beispielsweise das gestreckte Beinheben an den Ringen oder am Reck viel effektiver und hinsichtlich der muskulären Koordination anspruchsvoller, wenn man dabei die Arme und Beine komplett gestreckt hält und keinen Schwung verwendet.

Ungenügende Kraft oder Beweglichkeit

Häufig ist die Kraft in einer Muskelkette zu schwach oder die Beweglichkeit in einer anderen zu wenig entwickelt. Aber trotzdem werden diese hochkomplexen Übungen durchgeführt – und das nicht nur mit dem Hintergrund des Trainingseffekts, sondern auch als Show-off im Gym. Das wäre so, als ob man Bankdrücken mit 100 kg durchführen würde, obwohl man tatsächlich maximal 70 kg schafft. Da man aber Spaß daran hat, trotzdem 100 kg zu drücken, fälscht man ab, bildet ein extremes Hohlkreuz und verwendet nur die halbe Bewegungsamplitude. Muskulär und koordinativ profitieren würde der Sportler, wenn er sich langsam, dafür aber mit sauberer Technik steigern würde. Im Turnen beginnt man aus diesem Grund nicht sofort mit der schwierigsten Übung, sondern entwickelt die entsprechenden Leistungsvoraussetzungen in vielen kleinen Einzelschritten.

Die Harmonie der Bewegungen (er)kennen

Überträgt man die Philosophie des Turnens auf funktionelles Training im Freizeitsport, geht es primär um die langfristige Verbesserung der Körperwahrnehmung. Dabei sind nicht ausschließlich die absoluten Kraftfähigkeiten gefragt, sondern vielmehr die Fähigkeiten, den eigenen Körper, die Positionen und Gelenkwinkelstellungen zu kennen und auch bei zunehmender Erschöpfung korrekt aufrechterhalten zu können. Die Wahrnehmung, wann sich eine Bewegung oder Bewegungskopplung gut anfühlt und wann nicht, ist hier enorm wichtig. Fühlt sich eine Bewegung unharmonisch an, können geübte Turner diese in Bruchteilen von Sekunden korrigieren, denn sie schöpfen aus einem breiten Erfahrungsschatz. Ein Laie hingegen spürt vielleicht, wenn sich etwas ungut anfühlt, doch ihm stehen keine Alternativen zur Verfügung. Genau diese Fähigkeit zur Feinsteuerung jeder Technik und zur exakten Bewegungsausführung einer Übung unterscheidet einen Profi von einem ambitionierten Freizeitsportler.

Die „Schiffchenstellung“ als Hilfe

Vergleicht man die Ausführung eines Stützes mit den Händen in den Ringen von Profiturnern zu Hobby-Fitness-sportlern, werden sich die Profis immer etwas unterscheiden. Profis bilden bei jeder Übung die „Schiffchenstellung“. Das bedeutet, dass die gesamte Rumpfmuskulatur angespannt und die Wirbelsäule leicht gewölbt wird. Ein Laie wird dies wahrscheinlich nicht wirklich wahrnehmen, denn die Bewegung ist ja scheinbar die gleiche – und trotzdem sieht es beim Profi kompakter, stabiler, geschmeidiger und ökonomischer aus. Diese „Schiffchenstellung“ – auch unter dem Namen „Hollow-Body-Position“ bekannt – stellt im turnerischen Krafttraining eine besonders wichtige Basis dar. Durch das Zurückkippen des Beckens und eine Flexion im Brustkorb befindet sich das gesamte Core-Korsett in Spannung. Dadurch wird einerseits die Wirbelsäule geschützt und andererseits die Effektivität von Kraftübungen erhöht, da die Zielmuskeln ihre Arbeit ohne unterstützenden Schwung leisten müssen.

Übungen effektiver ausführen

Beispiel Klimmzug. Mit einer lockeren Körperhaltung sind mehr Wiederholungen möglich, da Schwung aus den Beinen und dem Rumpf eingesetzt wird. Führt man Klimmzüge mit permanenter „Schiffchenstellung“ durch, reduziert sich die maximale Wiederholungszahl, die Effektivität wird hingegen gesteigert. Davon profitiert vor allem die muskuläre Ansteuerungsfähigkeit, wodurch sich ein besseres Körpergefühl entwickelt. Das gilt auch für alle anderen Übungen im Hang. Ein Hüftaufzug ist ebenfalls schwieriger, wenn die „Schiffchenstellung“ permanent gehalten wird und die Beine gestreckt bis in die Fußspitzen bleiben.

Mehr Komplexität durch korrekte Ausführung

Je komplexer eine Übung gestaltet ist, desto mehr Muskelgruppen werden im Training aktiviert. Das bedeutet: Im funktionellen Training kann die Komplexität der Übung teilweise auch durch die korrekte Ausführung einer leichten Übung erschaffen werden. Dadurch verbessern sich Ansteuerungsprozesse, die hinsichtlich der Qualität der Bewegungsausführung eine wichtige Rolle spielen. Je mehr koordinative Anteile eine Übung beinhaltet – sprich „Schiffchenstellung“, Arme eindrehen, Beine gestreckt halten, Gesäß anspannen, Füße strecken –, umso mehr müssen die beanspruchten Muskeln als zusammenhängende Schlingen agieren, die ähnlich wie Zahnräder ineinandergreifen und die „Maschine“ in Bewegung setzen. Dieses Konzept verbirgt sich hinter jedem funktionellen Fitnessprogramm und macht langfristig Sinn. Durch die Kopplung von Bewegungskoordination, Muskelarbeit und Sensomotorik werden Körper und Geist zusammenhängend ganzheitlich gefordert.

 

Übungen für eine bessere Technik an Reck und Ringen

IM LIEGESTÜTZ
Beim Liegestütz wird durch die „Schiffchenstellung“ der Schwerkraft entgegengewirkt und ein Einbrechen ins Hohlkreuz bei zunehmender muskulärer Ermüdung verhindert. Dies wird als „vorbeugende Bewegungsreserve“ bezeichnet.
• Der Trainierende führt einen Liegestütz in den Ringen oder am Schlingentrainer in einer geraden Rückenposition durch. Hier besteht die Gefahr des Absinkens in eine Hyperlordose, sobald die Erschöpfung eintritt. Die Ansteuerung und saubere Körperhaltung ist dann häufig nicht mehr gewährleistet; dem wollen wir entgegenwirken.
• Der Trainierende versucht, wieder aktiv in die „Schiffchenstellung“ zu gehen, um eine Hyperlordose zu verhindern.
• Zudem bleibt während der Bewegung der gesamte Rumpf bis zu den Beinen fest angespannt.
Das Einklemmen eines Gegenstandes zwischen den Füßen sorgt für mehr Stabilität und muskuläre Komplexität.

IM HANG (KLIMMZUG)
Auch im Hang kann und soll eine „Schiffchenstellung“ eingenommen werden, um während der gesamten Übung eine bessere Kontrolle über seine Bewegungen zu erhalten. Die Besonderheit liegt hier jedoch nicht ausschließlich im Zurückkippen des Beckens, sondern vor allem in der Aktivierung des Latissimus und Serratus anterior, was durch ein Drücken gegen die Stange oder die Ringe erreicht wird.
• Das bedeutet: Arme strecken, um einen Druck nach vorn auszuüben.
• Jetzt entsteht eine leichte Krümmung im Arm-Rumpf-Winkel. Der Körper
befindet sich dadurch in einer kompakten Haltung.
Häufig ist allein diese Übung für viele Sportler schwierig und anstrengend, da drei wesentliche Positionen gleichzeitig eingenommen werden müssen: Becken zurückkippen, gegen die Stange drücken und die Beine nach schräg vorn anheben.

IM STÜTZ AN DEN RINGEN
Bereits die Stützposition an den Ringen stellt für viele Sportler eine große koordinative Anforderung dar.
• Durch das Anspannen der Brustmuskulatur werden die Ringe fest an den Körper gedrückt.
• Nun sollten die Arme etwas nach außen gedreht und die Schultern im Stütz maximal herausgedrückt werden. Dadurch werden die Schultern nicht nach innen absacken und der Körper bleibt in einer erhöhten Position.
In Verbindung mit Dips ist diese Endstellung besonders effektiv, da die Arbeitsamplitude der gesamten Streckerkette erhöht wird.

 

Dr. Daniel Gärtner | Der Autor ist Sportwissenschaftler, Buchautor, TV-Coach, Fitnesstrainer und Ausbilder.
Er arbeitet als Dozent und Forscher an der Fakultät für Sport- und Gesundheitswissenschaften der Technischen Universität München.
www.dr-daniel-gaertner.de

 

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